Im Verborgenen ist der Fahrdienstleiter der Chef des Bahnhofs
Alles im Blick
Auch wenn der Fahrdienstleiter für die Fahrgäste und das Zugpersonal nicht präsent ist, ist er der Chef des Bahnhofs und verliert nie den Überblick über das Geschehen.
Rund 40.000 Züge im Personennahverkehr, -fernverkehr und Güterverkehr sind tagtäglich auf dem deutschen Schienennetz unterwegs und bringen Millionen Reisende von A nach B und Güter zur rechten Zeit zu ihrem Bestimmungsort. Gesteuert wird der Zugverkehr durch bundesweit rund 2.750 Stellwerke.
Das Stellwerk ist eine ortsfeste Bahnanlage. Der Fahrdienstleiter (Fdl) steuert und überwacht den Bahnbetrieb durch bedienen des Stellwerks. Demnach ist der Arbeitsplatz des Fahrdienstleiters in dem Gebäude, wo sich das Stellwerk (Stw) befindet bzw. verbaut ist.
Das Stellwerk
In der Frühzeit der Eisenbahn wurden die Signale und Weichen zunächst örtlich gestellt. Mit zunehmender Dichte des Streckennetzes und des Zugverkehrs wurde es jedoch schon bald notwendig, die Bedieneinrichtungen für Weichen und Signale in Zentralapparaten (wie die Stelleinrichtungen vor 100 Jahren genannt wurden), zusammen zu fassen. Aus den 'Zentralapparaten' wurden dann Stellwerke.
Bereits 1856 erfindet der Engländer Saxby eine mechanische Abhängigkeit zwischen Weichen und Signalen. Damit wird verhindert, dass ein Signal bei falscher Weichenlage auf Fahrt gestellt werden kann. Ab 1860 bauten die Engländer Saxby und Farmer die ersten mechanischen Stellwerke dieser Bauart, die auch in Deutschland hergestellt wurden. An diesem ersten mechanischen Stellwerk wurden in den Folgejahren zahlreiche Um- und Neukonstruktionen vorgenommen, bis die Entwicklung schließlich 1911 im mechanischen Einheitsstellwerk ihren Abschluss fand. Der 1. Weltkrieg verzögerte jedoch die offizielle Einführung der Einheitsbauform bis 1928.
In Abhängigkeit von der technischen Entwicklung sind im Laufe der Zeit verschiedene Stellwerksbauformen entstanden wie mechanische Stellwerke (mech. Stw), elektromechanische Stellwerke (emech. Stw), Relaisstellwerke (RSTW), elektronische Stellwerke (ESTW) und sonstige Bauformen.
Im deutschen Streckennetz sind noch alle Stellwerkstypen im Einsatz:
Typ Anzahl
Mechanische / Elektromechanische Stellwerke 892 (mit 25 Bauformen)
Relaisstellwerke 1.197 (mit 23 Bauformen)
Elektronische Stellwerke (ESTW-Zentralen) 468 (mit 24 Bauformen)
Mechanisches Stellwerk (mech. Stw)
In Deutschland wurde das erste mechanische Stellwerk von der englischen Firma Saxby & Farmer (von dem aus Weichen und Signale ferngestellt und zentral gesichert werden konnten) 1867 in Stettin in Betrieb genommen.
Die ältesten noch im aktiven Betrieb befindlichen mechanischen Stellwerke sind:
– Stellwerk Kübbecke (Westf.) von 1899
– Stellwerk Winden (Pfalz) von 1899
Alle Bedienhandlungen müssen einzeln und nacheinander ausgeführt werden. Die Sicherheit des Stellwerks wird über mechanische Abhängigkeiten hergestellt.
Bei dieser Bauart werden Signale und Weichen über Hebel und Drahtzüge per Hand gestellt. Weichen können damit nur bis zu 800 und Signale bis maximal 1.800 Meter Entfernung gestellt werden.
Die Stellbezirke, also die Streckenabschnitte, für die der Fahrdienstleiter in seinem Stellwerk verantwortlich ist, sind daher vergleichsweise klein. Hinzu kommt, dass sich der Fahrdienstleiter per Augenschein davon überzeugen muss, ob das Gleis, in das ein Zug fahren soll, auch wirklich frei ist.
Elektromechanisches Stellwerk (emech. Stw)
Um die Menschen von der zum Teil schweren körperlichen Arbeit beim Stellen der Weichen und Signale zu entlasten und um die Bedienvorgänge zu beschleunigen wurden elektromechanische Stellwerke entwickelt.
Das erste elektromechanische Stellwerk in Deutschland wurde 1896 in den Bahnhöfen Westend bei Berlin, in München und Untertürkheim bei Stuttgart in Betrieb genommen.
Diese Bauform wandelt mechanische Bedienhandlungen des Fahrdienstleiters in elektrische Impulse um. Weichen und Signale stellen sich elektrisch um.
Die Betriebszustände der Signale und Weichen werden im Stellwerk über verschiedenfarbige Schalter und Lichtpunkte angezeigt. Der Fahrdienstleiter überzeugt sich in der Regel per Augenschein davon, dass die Gleise für Zug- oder Rangierfahrten frei sind.
Das 'Einreihenstellwerk' in der Bauform von 1912 bewährte sich in der Praxis am besten. Es wurde daher im Jahre 1943 mit einigen geringfügigen Verbesserungen unter der Bauform E43 zum Einheitsstellwerk erklärt.
Im wesentlichen ist heute nur noch eine Bauform in größeren Stückzahlen vorhanden: Das Siemens & Halske 1912-Stellwerk mit Farbscheibenüberwachung bzw. als E43 mit Lampenüberwachung.
Relaisstellwerk (RSTW)
Auch als Gleisbildstellwerk, Drucktastenstellwerk oder Spurplanstellwerk bekannt.
Mit der Inbetriebnahme des ersten Drucktastenstellwerks der Bauform Dr 1 der Firma Siemens im Jahr 1948 in Düsseldorf-Derendorf wurde erstmals eine Sicherungsanlage geschaffen, deren Verschlüsse und Ausschlüsse nur durch elektrische Abhängigkeiten hergestellt wurden und dessen Fahrstraßeneinstellung durch Bedienen einer Start- und einer Zieltaste erfolgte.
Die Gleispläne der Bahnhöfe und der angrenzenden Streckenabschnitte sind bei diesem elektrischen Stellwerk schematisch auf Stelltischen abgebildet. Hier werden alle Bedienhandlungen vorgenommen und Betriebszustände angezeigt. Die Gleise werden überwiegend automatisch frei gemeldet.
Bis heute ist das Signalrelais noch das vorherrschende Bauelement in der Stellwerkstechnik. Daher befinden sie sich auch oft an Knoten und stark belasteten Strecken.
Elektronisches Stellwerk (ESTW)
Das erste Elektronische Stellwerk wurde am 1.4.1988 in Murnau in Betrieb genommen. In Nordrhein-Westfalen wurden 1989 die ersten Prototypen eines Elektronischen Stellwerks in Overath und Detmold dem Betrieb übergeben.
Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte ermöglicht es, dass ein einziger Fahrdienstleiter nicht nur für einen kleinen und vom Stellwerk komplett einsehbaren Bereich verantwortlich ist, sondern für ganze Regionen.
Bei dieser Bauart werden die Signale und Weichen mittels Computertechnik per Mausklick gestellt. Fahrdienstleiter können in den ESTW größere regionale Bereiche fernsteuern und überwachen. Die örtlich zuständigen Fahrdienstleiter (özF) arbeiten in bundesweit sieben Betriebszentralen (BZ Berlin, BZ Hannover, BZ Duisburg, BZ Leipzig, BZ Frankfurt a. Main, BZ Karlsruhe, BZ München), wodurch ein hoher Automatisierungsgrad in der Betriebsführung erreicht wird.
Einen Sonderfall stellt die S-Bahn Berlin dar mit einer eigenen Betriebszentrale in Berlin-Halensee, die nur für das S-Bahn-Netz in Berlin zuständig ist.
Im Laufe der historischen Entwicklung wurde der örtlich zuständige Fahrdienstleiter im 'Regelbetrieb' von immer mehr aktiven Aufgaben entbunden und geht mit dem ESTW nahezu ausschließlich überwachenden Tätigkeiten nach.
Beim Auftreten von technischen Störungen oder Unregelmäßigkeiten im Bahnbetrieb reichen überwachende Aufgaben unter Umständen nicht mehr aus um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Stattdessen sind manuelle und aktive Eingriffe erforderlich.
Digitales Stellwerk (DSTW)
Diese Bauform ist ein wichtiger Baustein für die Bahn der Zukunft.
Als Nachfolger des ESTW wird das Digitale Stellwerk (DSTW) die Technikvielfalt in den Netzbezirken reduzieren. Als integratives System wird das DSTW mit seinen standardisierten Schnittstellen das Herzstück der Digitalen Leit- und Sicherungstechnik (DLST) bilden.
Schritt für Schritt soll die DLST die teilweise über 100 Jahre alte Stellwerkstechnik ablösen. Diese wird netzweit durch das European Train Control System (ETCS) und die neuen Digitalen Stellwerke (DSTW) ersetzt, welche künftig mit einem einheitlichen integrierten Leit- und Bediensystem (iLBS) bedient werden.
Ein Digitales Stellwerk (DSTW) besteht aus einzelnen, klar spezifizierten Teilsystemen bzw. Komponenten (Zentraleinheit, Signale, Weichen, etc.), die über standardisierte Schnittstellen miteinander verbunden sind. Diese offenen, IP-basierten Schnittstellen ermöglichen das Zusammenschalten von Komponenten unterschiedlicher Hersteller zu einem Gesamtsystem. Durch die einheitliche, neue Technik sind weniger technische Störungen zu erwarten und die Kapazitäten auf der Strecke können erhöht werden.
2018 ging das Stellwerk Annaberg-Buchholz Süd (Sachsen) als erstes Digitales Stellwerk mit einem System der Firma Siemens in Betrieb.
Weitere umfassende Digitale Stellwerke (DSTW) sind: Stellwerk Warnemünde Werft (Mecklenburg-Vorpommern) 2019, Stellwerk Meitingen und Stellwerk Mertingen (Bayern) bis 2022, "Moselstrecke“ Koblenz - Trier (Rheinland-Pfalz) bis 2023, Harz-Weser-Netz bis 2025.
In Deutschland wird eine flächenhafte Einführung digitaler Stellwerke in Verbindung mit dem European Train Control System (ETCS) erwogen.